Historischer Roman Anne Bezzel beleuchtet Erfurts Stadtgeschichte und das jüdisch-christliche Zusammenleben
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Anne Bezzel ist Kirchenhistorikerin. Ihr historischer Roman "Wenn ich dich je vergesse" führt fundiert in die Geschichte des Zusammenlebens von Juden und Christen im mittelalterlichen Erfurt – bis ein Pogrom 1349 alles veränderte. Das Buch soll auch das Alltägliche der Religionen wieder vertraut machen und Wissen vermitteln.

Anne Bezzel nimmt die Leserinnen und Leser ihres Buches "Wenn ich dich je vergesse" mit in das 14. Jahrhundert und führt dabei in den christlich-jüdischen Alltag der Menschen ein. Ihr Fokus ist die damalige Handelsstadt Erfurt.
Zu diesem Thema fand die aus dem mittelfränkischen Ansbach stammende Kirchenhistorikerin, als sie während ihrer ehrenamtlichen Führungen durch die Erfurter Predigerkirche immer tiefer in die Geschichte einstieg. Sie begegnete Meister Eckhart, dem Bettelorden an sich – und auch einem düsterem Kapitel der Stadtgeschichte.
Und dann bin ich auf diese Thematik des Pogroms an der jüdischen Bevölkerung gekommen, 1349, und dass das auch in unserer Kirche sichtbar ist durch ein ganz beeindruckendes Tafelbild.
Gerettete und Verdammte
Ein unbekannter Künstler hielt vermutlich um 1350 den zeitgenössischen Blick auf den Pogrom an der jüdischen Bevölkerung fest und stellte "Gerettete und Verdammte" dar, darunter Juden und Christen: "Sie finden auch kirchliche Würdenträger, die bei den Verdammten eingeordnet sind," so die Historikerin. "Was mich frappiert hat, dass auf der Seite der Geretteten auch jüdische Bürger abgebildet sind."
Auf dem Bild sind die Juden markiert durch einen "Judenhut". Wie Bezzel erst viel später erfahren habe, hätten die Juden in Erfurt keinen Hut getragen, sie konnten sich von dieser Diskriminierung teuer loskaufen.
Geschichte erfahren, Geschichte erzählen
Intensiv hat Anne Bezzel Dokumente, Überlieferungen und Archivmaterial studiert, die damalige Zeitgeschichte reflektiert, um ihren Leserinnen und Lesern den Alltag, aber auch christliche und jüdische Rituale näher zu bringen. Sie nimmt mit in das enge, bescheidene und auch immer von Bedrohung geprägte Leben ihrer jungen Protagonisten und deren christlich-jüdischen Familien.
Der Wunsch, die Geschichte von Naomi, Jakob und Merten zu erzählen, habe sie seit beinahe fünfzehn Jahren begleitet, erklärt Bezzel und schildert, welchen engen Bezug sie durch ihre Lebensumstände mit der Geschichte bekam: "Unser damaliges, erstes Zuhause in Erfurt befand sich inmitten des ehemaligen jüdischen Viertels. Mein Alltag spielte sich dort ab: im Schatten des längst zerstörten Friedhofes, auf dem Benediktsplatz vor dem sogenannten 'Quartier', zwischen der Alten Synagoge, die erst wenige Jahre zuvor als einer der ältesten jüdischen Sakralbauten nördlich der Alpen wiederentdeckt worden war. Meine täglichen Wege führten mich durch die Kraut- oder Kreuzgasse und die Michaelisstraße, in der 1998 ein von Bauarbeitern zufällig entdeckter spektakulärer gotischer Schatzfund für weltweite Aufmerksamkeit sorgte. Nur wenige Schritte entfernt, am Ufer der Gera und in unmittelbarer Nachbarschaft zur berühmten Erfurter Krämerbrücke, fand man knapp zehn Jahre später die Überreste der Mikwe, des Tauchbades der mittelalterlichen Gemeinde."
Pogrom ist Wendepunkt in Erfurter Stadtgeschichte
Bezzel entwirft in ihrem Buch filigrane, starke, auch emotional bedrückende Bilder und zeichnet ein bedrohliches Szenario rund um ihre Protagonisten. Der März 1349 ist dabei ein Wendepunkt im zuvor friedlichen Miteinander zwischen Juden und Christen in der Stadt. Ein wütender Mob entlädt sich als vernichtendes Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung.
Bezzel schreibt: "Die Leichen lagen in den Häusern bzw. die Häuser waren angezündet worden. Da ist die Hälfte eines Stadtzentrums ausgelöscht und dann geht das Leben weiter und der Rat läßt noch die letzten Habseligkeiten aus den Häusern rausholen. Es geht einfach weiter." Bewusst mochte Bezzel keine Heldengeschichte erzählen, sondern eine realistische, in diesem Fall die Geschichte des Scheiterns.
Aufklärungsarbeit
Absicht ihres historischen Romans ist es aber auch, mit Hilfe eines Glossars Einblick in Wissen und Sprache, Rituale, Traditionen des Judentums zu geben und heutige Leser dafür zu sensibilisieren. "Es gab einen ganz engen Austausch zwischen jüdischen Künstler und christlichen. Sie haben die gleichen Motive gemalt. Das kommt in der einen Szene vor, da fragt Merten: 'Wer hat den Löwen zuerst gemalt? Der christliche Maler oder der jüdische?' Und dann sagt der jüdische: 'Wir lernen voneinander.'"
Auf die vielen Verbindungen beider Religionen möchte sie – als Kirchenhistorikerin – hinweisen: "Wir teilen die gleichen Texte," sagt Bezzel.
Mit dem Alltäglichen der anderen Religion wieder vertraut werden, wäre auch ein schönes Ziel.
Zumindest will ihr Buch Lust machen, manche Wissenslücken zu schließen, die über Jahrhunderte – und gepaart mit viel Antisemitismus – entstanden sind.
Das Buch
Anne Bezzel: "Wenn ich dich je vergesse"
Historischer Roman
192 Seiten, Paperback, 15 Euro
ISBN 978-3-86160-586-7
Wartburg-Verlag
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 27. Januar 2022 | 16:10 Uhr