Kunstfestival Unabhängige Kunst aus Belarus im Festspielhaus Hellerau
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Es ist ruhig geworden um Belarus. Die Proteste gegen die gefälschte Präsidentschaftswahl im Sommer 2020 sorgten weltweit für große Aufmerksamkeit für dieses vielen bis dato vermutlich kaum bekannte Land. Mit beträchtlichen Repressionen konnte Alexander Lukaschenko sein autokratisches Regime vorerst wieder stabilisieren. Ein Kunstfestival im Festspielhaus Hellerau wirft jetzt ein Schlaglicht auf Belarus und die unabhängigen Kunstschaffenden des Landes, die längst ihre Heimat verlassen haben.

In Polen, in Deutschland, in Litauen oder Georgien, überall dort lebten belarusische Künstlerinnen und Künstler. Jetzt habe man mit dem Festival "Nebenan/Побач. Unabhängige Kunst aus Belarus" im Festspielhaus Hellerau die Chance, sich endlich wieder zu sehen, auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen. Tatsächlich ist das Festival auch als ein Zeichen der Solidarität mit den belarussischen Künstlerinnen und Künstlern zu verstehen, sagt Kurator Johannes Kirsten.
Kirsten erklärt: "Durch den Sommer 2020 entstanden dann eine Dynamik und eine Notwendigkeit, wie kann man denn unterstützen, wie kann man denn Öffentlichkeit hier weiter herstellen, wie kann man auch ganz praktisch den Künstlerinnen, die jetzt ins Exil gegangen sind – und das sind bei dem Festival ja wirklich die absolut meisten – ein Forum geben? Da geht es ja letztlich auch ganz praktisch um Honorare."
Belarus in den Fokus rücken
Zuallererst will das Festival jedoch Belarus, das so nah ist, worauf der Titel "Nebenan" anspielt, wieder in den Focus rücken, nicht nur mit Theaterinszenierungen, sondern auch mit Installationen, Performances, mit Literatur und Diskussionsforen. Unter anderem ist der prominente, jetzt in Graz lebende Autor Alhierd Bacharevic zu Gast. Er wird aus seinem Roman "Die Hunde Europas" lesen, der 2024 bei Voland & Quist in deutscher Übersetzung erscheinen soll.
Who's who belarussischer Kunst- und Kulturszene
Auf dem Podium wiederum diskutiert die Philosophin Olga Shparaga, die im vergangenen Jahr ein Buch über das weibliche Gesicht der Revolution veröffentlicht hat. Es versammelt sich im Festspielhaus Hellerau, wenn man so will, das Who's who der belarusischen Kunst- und Kulturszene, der unabhängigen wohlgemerkt.
Belarus Free Theatre arbeitet Mord auf
Ein Mann, eine Frau, eine Liebesgeschichte. Allerdings eine, die nur noch aus der Erinnerung der Frau erzählt werden kann, denn ihr Mann ist tot. Er verschwand eines Abends, wurde von Handlangern des diktatorischen Regimes entführt und ermordet. Inspiriert ist "Discover Love" vom Belarus Free Theatre durch den realen Fall von Anatoly Krasovsky, einem Geschäftsmann, der die belarusische Oppositionsbewegung unterstützt hat und 1999 verschwunden ist. Über neun Jahre wurde für das Stück recherchiert, intensive Gespräche mit seiner Witwe geführt, bis es 2008 uraufgeführt werden konnte.
Gefälschte Präsidentschaftswahl
Nach 2008 habe sich die Situation in Belarus immer mehr verschlimmert, speziell in den letzten zwei Jahren, nachdem die Proteste gegen die gefälschte Präsidentschaftswahl begonnen hatten, so Maryna Yakubovich vom Belarus Free Theatre. Es gebe mehr als 1.300 politische Gefangene. Das sei zwar eines ihrer ersten Stücke, aber bedauerlicherweise ist es aktueller denn je.
Flucht aus der Diktatur
Die Mitglieder des Ensembles haben Belarus längst verlassen, ein Teil von ihnen lebt seit Jahren in London, derzeit auch Maryna Yakubovich und ihre Kollegin Svetlana Sugako, mehr oder weniger abgesichert durch diverse Gastspiele des mehrfach ausgezeichneten Belarus Free Theatre. Doch nicht alle hätten die Chance gehabt zu fliehen, einige säßen jetzt im Gefängnis, erzählt Svetlana Sugako.
Verlust auch der kleinen Freiräume in Belarus
Kurator Johannes Kirsten schildert, wie 2020 auch die kleinen Freiräume und Nischen der Menschen in Belarus weggefallen seien: "Eine Teilnehmerin jetzt bei dem Panel, Angelika Kraschewskaja, war die langjährige Leiterin des Theart Festival und der Art Corporation. Das war für mich immer so der Anlaufpunkt gewesen. Dieses Festival ist nicht mehr existent, ist liquidiert, es wird auch diese Vokabel tatsächlich benutzt."
Qualitätsvolle belarusische Kunst
Dennoch werde immer noch qualitätsvolle belarusische Kunst produziert, sagt Vladimir Shcherban, Regisseur von "P for Pischevsky", einer Doku-Performance, die auf Prozessmitschriften um den Mord an Mikhail Pischevsky basiert, der 2014 in Minsk nach einer LSBTIQ*-Party angegriffen wurde und seinen Verletzungen erlag.
Der Protest geht weiter
Von den Künstlerinnen und Künstlern wird der Protest demnach fortgesetzt, zugleich sieht Vladimir Shcherban durchaus auch Parallelen zur jetzigen Situation in der Ukraine. Es sei kein Krieg gewesen, aber es habe in Belarus ebenfalls keine Unterstützung von außen gegeben, die Welt habe zugeschaut. Die Proteste habe es gegeben, weil die Menschen wollten, dass sich etwas ändert, allerdings, so vermutet Shcherban, hätte es Belarus auch ähnlich ergehen können wie jetzt der Ukraine.
Weitere Informationen
"Nebenan/Побач. Unabhängige Kunst aus Belarus"
Theater, Lesungen, Diskussionen und Performances
vom 27. April bis 1. Mai 2022
Festspielhaus Hellerau
Besucherzentrum im Seitengebäude West
Karl-Liebknecht-Str. 56
01109 Dresden
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 27. April 2022 | 06:15 Uhr