Probenbericht David Bowies Musical "Lazarus" in Halle – zutiefst berührend und verstörend
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David Bowie schrieb das Musical "Lazarus" kurz vor seinem Tod im Jahr 2016. In New York und London wurde es begeistert gefeiert – nun ist das Stück des Popstars am neuen theater Halle zu sehen. Das Musical handelt von dem Außerirdischen Thomas Newton und seinem Wunsch, die Erde zu verlassen. Auf seiner Rückreise zu den Sternen bringt der Alien Bowie-Hits wie "Life on Mars?" und "Heroes" geheimnisvoll und verstörend auf die sparsam bestückte Bühne. Unser Autor hat die Hauptprobe zum Stück besucht.

"Look up here, I'm in Heaven" – diese eindringliche Aufforderung steht am Anfang des Songs "Lazarus" und gleichzeitig am Ende eines außergewöhnlichen Künstlerlebens. David Bowie schrieb das Lied 2016, nur wenige Wochen vor seinem eigenen Tod. Den hatte er selbst schon im Blick, als er sich für das obligate Musikvideo zum Song auf ein Krankenbett legte. Allerdings bedeckte da eine schmutzig-weiße Binde seine Augen, wie bei Deliquenten vor dem Erschießungskommando.
Diese Augenbinde aus dem Video hat Regisseur Peter Dehler für seine Inszenierung des Bowie-Musicals "Lazarus" in Halle übernommen. Dieses Bühnenstück gilt als Schwanengesang eines Menschen, der in der Kunstszene seine eigenen Maßstäbe setzte, der sich gegen Mainstream und Massengeschmack ständig neu erfand, der sich als Schauspieler und genialer Performer seine eigenen Denkmäler schuf.
Bowie schrieb "Lazarus" in Anlehnung an Science-Fiction-Film
Eines dieser Monumente ist dieser "Lazarus". Dessen Protagonist Thomas Newton ist "Der Mann, der vom Himmel fiel" und tauchte erstmals 1976 in einem Science-Fiction-Film auf, vom blutjungen David Bowie seinerzeit verkörpert. Nun aber entschließt sich ein fast 70-jähriger Bowie, diesen Newton von seiner irdischen Hilflosigkeit zu erlösen, ihn wieder zurück in dessen kosmische Heimat zu schicken, mit reichlich Bowie-Songs als Raketentreibstoff.
Als wenn das so einfach wäre. Da muss jede Erzählweise mit linearen biografischen Abläufen voller Logik und Transparenz scheitern, deshalb versucht es der Autor erst gar nicht. Vielmehr verwebt sich in diesen letzten Stunden auf Erden alles Reale und Surreale, nichts ist fassbar, alles ist Vorstellung – bestens für eine Theaterbühne geeignet. Vorausgesetzt, das Ensemble spielt da mit. Denn natürlich will man als Zuschauer in diesem Thomas Newton auch optisch David Bowie gespiegelt sehen.
David Bowie nach New York und London nun am Theater Halle
Das gelingt Harald Höbinger, in einer weltfremden Präsenz mit den roten Haarsträhnen aus Ziggy-Stardust-Zeiten und mit der Lizenz zum Verstören. Eindringlich, geheimnisvoll bringt er all die Songs über die sparsam bestückte Bühne im neuen theater, die dem Bowie-Fan geläufig sind. Schon beim "Look up here, I′m in Heaven", dem Titelsong, zieht er die Zuhörer in das mysteriöse Spiel. Vielleicht, so mutmaßt Regisseur Peter Dehler, liegt es auch daran, dass Höbinger Österreicher ist und damit qua Geburt schon das "Jedermann"-Virus in sich trägt, jenes Bilanzziehen am Ende des Lebens, auf der Suche nach Hoffnung.
Lautstarkes Musical mit vollem Körpereinsatz
An Höbingers Seite ein spiel-, sing- und tanzfreudiges Ensemble, wie geschaffen für diese Inszenierung. Einige kamen von außerhalb als Gäste, wie die Musical erfahrene Dominique Aref, die als treue Seele im Haushalt des Titelhelden den naiven Gegenpart zum vor sich hin delierenden Newton standhaft verteidigt.
Meist aber konnte Dehler aus dem hauseigenem Talente-Reservoir schöpfen, sei es mit Peter Bachmann oder Tristan Becker oder mit den drei betörenden Girls, die sich immer wieder als Background-Chor einmischen. Und nicht nur das. Eine dieser jugendlichen Grazien schlägt dabei nicht nur mal eben einen Purzelbaum, sondern verlässt gleich mal im Handstand hüpfend die Bühne, die sie gerade erst mit einem Flickflak besprungen hat. Hier bringt Kim Janas vom Jugendensemble des Opernhauses ihre Vergangenheit als einstige Spitzenturnerin zum Leuchten.
Bowie-Songs wie "Heroes" und "Life on Mars?"
Das Fundament all des Agierens auf der Bühne ist aber die musikalische Begleitung im Hintergrund. Die sorgt für einen fetten Sound voller Groove und Schwingung. Der hallesche Gitarrist Holger Gottwald schafft mit seiner Band-Erfahrung diese Atmosphäre der Verlässlichkeit, die er schon in anderen Produktionen am halleschen Theater beweisen konnte.
Die Songs hat Keyboarder Alexander Hohaus mit den Solisten einstudiert. Diese Musik bleibt dann auch im Ohr, wenn der Vorhang längst wieder zugezogen wird, von "This is not America" über "Life on Mars?" und "Absolute Beginners" bis zum großen Finale natürlich mit "Heroes".
Angaben zum Musical
"Lazarus" von David Bowie und Enda Walsh nach dem Roman "The Man Who Fell To Earth" von Walter Tevis
Deutsche Übersetzung von Peter Torberg
neues theater Halle
Große Ulrichstraße 51
06108 Halle (Saale)
Aufführungen:
18.11.2022, 19:30 Uhr (Premiere, ausverkauft)
20.11.2022, 15:00 Uhr
13.12.2022, 19:30 Uhr
14.12.2022, 19:30 Uhr
19.01.2023, 19:30 Uhr
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels haben wir die Formulierung "Unser Kritiker ist begeistert" verwendet. Daraus ist der Eindruck entstanden, es handele sich um eine Kritik. Das ist falsch. Der Autor hat die Hauptprobe von "Lazarus" besucht. Die Premiere des fertigen Stückes fand erst zu einem späteren Zeitpunkt statt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
Redaktionelle Bearbeitung: Valentina Prljic
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 21. November 2022 | 10:15 Uhr