Erdgasversorgung Ukraine-Konflikt: Debatte um späteren Kohleausstieg
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Der Kohleausstieg in Deutschland ist bis Ende 2038 gesetzlich vorgesehen. Die neue Bundesregierung möchte ihn auf 2030 vorziehen, um Treibhausgase einzusparen und stärker auf erneuerbare Energien zu setzen. Der Ukraine-Krieg könnte diese Pläne zerschlagen. Bei einem kompletten Stopp der russischen Energielieferungen fürchten Experten, dass man in der Bundesrepublik deutlich länger auf Kohle angewiesen wäre, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

- Der Ukraine-Krieg hat die Diskussion rund um den Kohleausstieg und konventionelle Energieträger neu entfacht. Deutschland ist stark von russischen Erdgaslieferungen abhängig.
- Kernkraftwerkbetreiber lehnen längere Laufzeiten ab. Über die Laufzeiten von Kohlekraftwerken wird diskutiert. Auch der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zeigte sich offen für Gespräche.
- Ein Betrieb von Kohlekraftwerken über 2030 und sogar über 2038 hinaus ist denkbar, steht jedoch im deutlichen Konflikt mit den Klimaschutzambitionen der Bundesregierung.
In den letzten Tagen forderten einige Politiker angesichts der Entwicklungen in der Ukraine und Russland eine Überprüfung des Kohleausstiegs. So auch die Ministerpräsidenten der Kohleländer Sachsen und Sachsen-Anhalt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer plädierte bei MDR Aktuell dafür, dass man die Energieversorgung realistisch durchrechnen solle. "Man muss sich einmal nochmal ehrlich machen und die Scheuklappen beiseite lassen, was Braunkohle und was Atom angeht", so Kretschmer.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff kritisierte, wie bereits in der Vergangenheit, das Vorhaben der Ampelregierung, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen: "Im Koalitionsvertrag kann man alles Mögliche formulieren". Er selbst halte dieses Ziel aber unter den aktuellen Umständen in der Ukraine und möglicherweise ausbleibenden Energielieferungen aus Russland für "zunehmend unrealistisch".
Fokus auf konventionellen Energieträgern
Der Blick fällt auf die konventionellen Energien, die in Deutschland 2021 über die Hälfte der Stromerzeugung ausmachten. Aber können diese Energieträger weiter genutzt werden? In Deutschland gibt es derzeit noch drei Kernkraftwerke. Deren Betreiber haben bereits angekündigt, eine längere Laufzeit abzulehnen. Bei den Kohlekraftwerken hält Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck längere Laufzeiten für denkbar und schloss Strategieänderungen beim Kohleausstieg nicht aus, um die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu verringern.
Vorgezogener Kohleausstieg 2030 wackelt
Am Lehrstuhl für Energiewirtschaft in Dresden sieht Professor Dominik Möst den vorgezogenen Ausstieg bis 2030 "fraglich". Die aktuelle Entwicklung mache dies nicht einfacher, da sich die Politik im "energiepolitischen Zieldreieck aus Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz" neu orientieren müsse. Möst hält darüber hinaus Laufzeiten von Kraftwerken über 2038 hinaus für "denkbar", diese stünden jedoch im deutlichen Konflikt mit den Klimaschutzbemühungen Deutschlands. Rein technisch seien die meisten Anlagen dazu aber in der Lage.
Kraftwerkbetreiber stehen bereit
Das bestätigt das Energieunternehmen LEAG, das in Mitteldeutschland mehrere Kraftwerke betreibt. Diese gehören zu den "modernsten Braunkohlekraftwerken weltweit" und könnten noch Jahrzehnte – und somit deutlich länger als die jetzt angedachten Laufzeiten – betrieben werden. Möglich sei es auch, Kraftwerke, die sich aktuell in der sogenannten Sicherheitsreserve befinden, zu reaktivieren. Das beträfe zum Beispiel den Block F im Kraftwerk Jänschwalde. Dieser ist seit 2018 stillgelegt, könne aber innerhalb von zehn Tagen reaktiviert werden, heißt es aus dem Unternehmen.
Sorge um die Energieversorgung
An Laufzeiten über 2038 hinaus denkt man im Lausitzer Unternehmen momentan nicht. Man halte am "stufenweisen Ausstiegsfahrplan bis zum Ende des Jahres 2038" fest. Die Entwicklungen in der Ukraine betrachte man im Unternehmen jedoch mit Sorge, besonders in Bezug auf die Abhängigkeit von russischen Energieträgern. Dies sei "sowohl ein politischer Risikofaktor also auch Risikofaktor mit Blick auf die Kosten".
Die Kosten würden in Deutschland auch auf Verbraucherinnen und Verbraucher zukommen, die sich ohnehin bereits um die Energieversorgung Sorgen machen, wie eine Umfrage von MDRfragt zeigt. Wie sich die Energiepolitik der Bundesregierung in den nächsten Jahren und Monaten gestaltet, wird auch ganz maßgeblich davon abhängig sein, wie sich die Situation in Russland und der Ukraine entwickelt.
Quelle: AFP, Reuters (phb)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 01. März 2022 | 21:45 Uhr