Handwerksserie Weite Fahrtwege und Vorbehalte von Eltern belasten Azubisuche
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Das Handwerk in Sachsen-Anhalt meldet regelmäßig Azubimangel. Im Rahmen der MDR-Handwerkswoche, die am Montag gestartet ist, erklären ein Unternehmer, ein Kammerchef und ein frisch ausgelernter Geselle, an welchen Stellen es hakt und wie mehr Digitalisierung und weniger Bürokratie Abhilfe schaffen können.

- Raumausstatter Andreas Dieckmann aus Elbingerode im Harz sucht seit Jahren händeringend einen Azubi – ein Problem im gesamten Handwerk.
- Ein Problem sind die oft sehr langen Fahrtwege zur Berufsschule, dabei könnten viele Azubis auch einen nähergelegenen Standort besuchen.
- Eltern haben einen häufig Vorurteile, was die Bezahlung und das Ansehen im Handwerk betrifft.
Andreas Dieckmann hat zu tun. Ein Treffen noch in dergleichen Woche in seinem Laden? Puh, das wird leider nichts. Auf der Baustelle in Halberstadt am nächsten Tag kann er aber ein Interview einschieben, kurz nach 9 dürfte es passen. Danach muss er gleich weiter nach Braunschweig, drei Termine stehen im Kalender. Um seine Auftragslage muss sich der Raumausstatter aus Elbingerode (Landkreis Harz) wahrlich keine Gedanken machen. Um seine Gesellen offensichtlich auch nicht: Während der Chef einen Tag später auf der Baustelle sein Interview gibt, hieven sie routiniert die neue Beschattungsanlage vom Kran auf einen Wintergarten im dritten Stock. Sorgen bereitet dem Firmenchef allerdings das Thema Nachwuchs. Seit fünf Jahren sucht er vergeblich nach einem Azubi.
Ein Drittel weniger Azubis als im Jahr 2010
Mit diesem Problem steht er nicht allein da. In ganz Sachsen-Anhalt fehlen im Handwerk seit langem Auszubildende. Die Handwerkskammern zählten zuletzt rund 7100 Ausbildungsverhältnisse, das ist gut ein Drittel weniger als noch im Jahr 2010. Immerhin bleit die Zahl inzwischen auf gleichem Niveau. Zum Ausbildungsstart im August dieses Jahres waren in Sachsen-Anhalt 560 Lehrstellen nicht besetzt. Im Landesnorden werden besonders dringend etwa Lebensmittelhandwerker und Metallbauerinnen gesucht. Im Süden sind Lehrlinge vor allem in Bereichen wie Bau und Elektro rar. Am größten ist die Not in ländlichen Regionen. Das Dauer-Problem hinterlässt bereits Spuren, denn der Handwerkskammer Magdeburg zufolge können schon jetzt erste Betriebe wegen betriebsinternen Fachkräfte-Mangels Aufträge nicht annehmen.
Auch Raumausstatter Andreas Dieckmann beunruhigt seine freie Azubi-Stelle vor allem mit Blick auf die Zukunft. "Mein Unternehmen soll wachsen und seinen Platz am Markt sichern", erklärt er. Sein Team sei zwar im Durchschnitt jung. "Aber ich muss auch für später vorbeugen." Seinen Nachwuchs möchte er gern selbst ausbilden, sind doch die Aufgaben sehr spezifisch – zum Beispiel das Montieren besagter Sonnenschutztechnik auf einen Wintergarten. Dass Dieckmanns Suche bisher erfolglos geblieben ist, hat aus seiner Sicht viele Gründe. Die wichtigsten gelten aus seiner Sicht für das gesamte Handwerk.
Knapp die Hälfte der Azubis fährt zur Berufsschule 30 Kilometer und weiter
Da wären zum Beispiel die Fahrtwege zur Berufsschule. Eine Umfrage im Auftrag der Handwerks- sowie der Industrie- und Handelskammern im Land, für die alle Azubis kontaktiert worden waren, hat ergeben: Fast die Hälfte der Auszubildenden legt 30 Kilometer und mehr zurück. Das liegt zum einen an der ländlichen Struktur des Bundeslandes, zum anderen an starrer Bürokratie. Denn je nach Firmenstandort ist in Sachsen-Anhalt genau festgelegt, welche Berufsschule ein Azubi besuchen muss. Der Analyse zufolge wäre zwar für jeden fünften Befragten ein näherer Standort geeignet. Aber Landkreisgrenzen und Vereinbarungen zwischen den Kammern der Bundesländer führen oft zu einer anderen Zuordnung. Ein Azubi beim Harzer Andreas Dieckmann etwa müsste ins sächsische Plauen fahren, obwohl Hildesheim im benachbarten Niedersachsen deutlich näher liegt.
Das Problem mit den weiten Wegen kennt auch Carl Robra. Er hat im Sommer seine Ausbildung zum Uhrmacher in Seehausen (Altmark) abgeschlossen. Weil es in seiner Zunft kaum Fachklassen gibt, musste er ins fünf Zugstunden entfernte Glashütte fahren. Robras Vorteil: Die Eltern wohnen in Dresden. "Manche Mitschüler haben mit der weiten Fahrt aber schon gehadert", berichtet er.
Mehr digitaler Unterricht könnte Abhilfe schaffen
Burghard Grupe, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg, sieht eine Möglichkeit, das Problem zu kompensieren, im Ausbau digitaler Angebote. "Ich würde mir an den Berufsschulen hybride Lernmethoden wünschen – also Unterricht sowohl in Präsenz als auch zum Zuschalten von zu Hause aus. Dazu muss man natürlich die Berufsschulen entsprechend ausstatten und die Lehrer schulen."
Chef holt seinen Lehrling jeden Tag zu Hause ab
Weil gerade in vielen ländlichen Regionen Sachsen-Anhalts Bus und Bahn eher selten fahren, ist selbst die Fahrt zur Firma für viele junge Menschen eine Hürde. Das zeigt ein Beispiel eines Handwerkerkollegen von Raumausstatter Dieckmann im Harz. Dachdeckermeister Guido Fischer aus Wernigerode holt seinen Lehrling jeden Morgen mit dem Auto zu Hause ab, um ihn mit in seine Firma ins zehn Kilometer entfernte Langeln zu nehmen. Er sieht keine Alternative. Der Bus nach Langeln fährt schließlich nur viermal am Tag.
Um die Berufsschülerinnen und -schüler zumindest finanziell bei ihren Fahrten zu entlasen, hat das Land zum 1. Januar das Azubi-Ticket eingeführt. Mit dem kann man für 50 Euro im Monat Bus und Bahn nutzen.
Wir haben einen Akademisierungswahn.
Eine weitere Ursache für den Azubimangel sieht Raumausstatter Dieckmann in Vorbehalten gegenüber dem Handwerk: "Die Reputation hat sich zwar verbessert", erklärt er. "Es halten sich aber immer noch Klischees." Handwerkskammer-Chef Grupe bestätigt diesen Eindruck. Er erklärt: "Wir haben einen Akademisierungswahn. Sehr viele Schülerinnen und Schüler sind an den Gymnasien, da fällt das Handwerk oft hinten runter." Vorbehalte stammten auch von den Eltern, sagt er. "Sie haben einen großen Einfluss auf die Berufswahl." Ihre Befürchtungen: schlechte Bezahlung, harte körperliche Arbeit, ein schlechtes Ansehen. "Aber die Realität hat sich erheblich verändert. Das Image des Handwerks ist stark gestiegen. Die körperliche Arbeit ist nicht mehr so hart, weil es technische Hilfsmittel gibt. Und die Löhne steigen."
Was die aktuellen Löhne betrifft, gibt es unter den Gewerken große Unterschiede. Der MDR hat die Gehälter für Handwerkerinnen und Handwerker in Sachsen-Anhalt zusammengetragen. Demnach verdienen etwa in Berufen der Körperpflege wie Friseur oder Fußpflegerin ausgelernte Vollzeitangestellte im Durchschnitt nur knapp 1500 Euro im Monat. Mechatroniker hingegen können einen deutlich besseren Lebensstandard finanzieren, sie verdienen das Doppelte. Die Zahlen stammen vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit in Halle. Errechnet wurde das Medianentgelt, also der Wert einer Einkommensverteilung, der in der Mitte aller Einzelwerte liegt. Zulagen wie Schichtzuschläge wurden mit eingerechnet.
Ich hätte es gutgefunden, wenn es in der Schule mehr Praxisangebote gegeben hätte.
Eine weitere Hürde für potenzielle Handwerker-Azubis liegt in der Berufsorientierung. Uhrmacher Carl Robra etwa hat seinen heutigen Beruf nur durch seinen Großvater kennengelernt. Der ist der Seehäuser Uhrmacher Günther Haut und hat ihn letztlich auch ausgebildet. "Für mich ist der Beruf eine perfekte Mischung aus Handwerk und logischem Denken", schwärmt der 22-Jährige. "Das Zusammenspiel in einem Uhrwerk ist so komplex, da fühlt man sich jeden Tag gefordert." Ohne seinen Großvater allerdings wäre er überhaupt nicht auf die Idee gekommen, diesen Beruf zu erlernen. "Ich hätte es gutgefunden, wenn es in der Schule mehr Praxisangebote gegeben hätte, um Handwerksberufe kennenzulernen."
Karrieremöglichkeiten im Handwerk würden besonders am Gymnasium zu wenig vermittelt, klagt Handwerkskammer-Chef Grupe. Diese reichen immerhin von der Meisterausbildung bis hin zu trialen Studiengängen, bei denen man Ausbildung, Meister und Bachelor zugleich absolviert. "Das ist viel zu wenig bekannt", sagt er. "Andersherum kommen aus den Hochschulen oft Absolventen, die keinen adäquaten Arbeitsplatz finden. Es geht letztlich darum, dass jeder seinen Platz findet."
120 Euro fürs Schülerpraktikum im Handwerk
Um mehr Schülerinnen und Schüler in Sachsen-Anhalt zu motivieren, einen Handwerksberuf in ihren Ferien kennenzulernen, zahlt das Land ihnen inzwischen eine Praktikumsprämie in Höhe von 120 Euro pro Woche. Sie gilt für alle Schulformen.
Burghard Grupe ist überzeugt, dass sich eine Ausbildung im Handwerk trotz aller Schwierigkeiten schon aus einem Grund lohnt – einem, der sich nicht in Zahlen fassen lässt: das Gefühl. "Handwerk macht zufrieden. Man hat mit Menschen Kontakt und sieht hinterher, was man geschaffen hat."
Von dieser Zufriedenheit schwärmt auch Andreas Dieckmann: "Ich habe einen der schönsten Berufe der Welt. Wir belegen Böden, bekleiden Wände, dekorieren Stoffe. Es gibt kein schöneres Erlebnis, als wenn man dann am Ende des Tages als Reaktion ein Lächeln in den Gesichtern der Kunden sieht oder Worte des Lobes hört. Das macht einfach glücklich."
Quelle: MDR/Elisa Sowieja-Stoffregen
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