Religion Antijüdisches Relief in Wittenberg wird Fall für Bundesgerichtshof
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2022 wird des letzte Wort im Streit um das antijüdische Relief an der Wittenberger Stadtkirche gesprochen. Ab Mai verhandelt darüber der Bundesgerichtshof. Die Vorinstanzen sahen keinen Anlass, die Plastik abzunehmen.

- Seit vier Jahren wird juristisch über eine judenfeindliche Darstellung an der Wittenberger Stadtkirche gestritten. In diesem Jahr könnte das letzte Wort fallen.
- Ein jüdischer Kläger sieht in dem Relief die Ehre der Juden verletzt und will, dass sie verschwindet. Die Vorinstanzen sahen das anders.
- Darstellungen dieser Art gibt es deutschlandweit. Vielerorts bemüht sich die Kirche um Aufklärung.
Das antijüdische Schmährelief an der Wittenberger Stadtkirche wird ein Fall für den Bundesgerichtshof (BGH). Nach einem Bericht der Katholischen Nachrichten-Agentur wird in Karlsruhe ab dem 30. Mai mündlich in der Sache verhandelt.
Vorinstanzen sahen keine Ehrverletzung
Im Februar 2020 hatte das Oberlandesgericht Naumburg entschieden, dass die als "Judensau" bekannte Sandsteinskulptur an der Außenfassade der Kirche hängen bleiben darf. Eine Ehrverletzung der Juden wurde nicht festgestellt. Begründung: Durch die Einbettung in ein Gedenkensemble mache die Kirchengemeinde klar, dass sie sich vom Charakter des Reliefs distanziere, hieß es. Betrachte man die Skulptur allein für sich, habe sie einen beleidigenden Charakter, räumte Richter Volker Buloch damals ein.
Eine Revision ließ das Gericht seinerzeit zu. Und die hat der jüdische Kläger schließlich auch bei der höchsten Instanz eingereicht. Er will, dass die Plastik aus dem 13. Jahrhundert entfernt wird. Im Mai 2019 hatte bereits das Landgericht Dessau-Roßlau eine entsprechende Klage abgewiesen.
Was zeigt die antisemitische Schmähplastik?
Das Sandsteinrelief wurde um 1300 an der Südfassade der Stadtkirche Wittenberg angebracht. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen Menschen saugen, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz. Schweine gelten im Judentum als unrein.
Ähnliche Spottplastiken finden sich an rund 30 evangelischen und katholischen Kirchen und Kathedralen im deutsch geprägten Kulturraum. Zum Teil verzerren sie Zusammenhänge und bedienen Stereotype. "Hier spielen Elemente herein, die man später vom Antisemitismus kennt und woran man sieht, dass der Antijudaismus des Mittelalters und der Kirche auch eine ganz wichtige Quelle für den rassistischen Antisemitismus der Neuzeit gewesen ist", erklärte Kunsthistoriker Matthias Demel im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
Wieso wurden diese Bilder angefertigt?
Mit solchen Darstellungen sollten Juden im Mittelalter unter anderem davon abgeschreckt werden, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen. Hintergrund ist der Antijudaismus der christlichen Kirchen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Grenze zum Antisemitismus fließend ist. Ab dem 16. Jahrhundert waren die christlichen Theologien "durchgängig antijudaistisch und auch judenfeindlich" erklärte Jürgen Wilhelm, der Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V., im Interview mit dem Domradio des Erzbistums Köln.
Welche Verbindung der "Judensau" wird zu Martin-Luther gesehen?
Über der Wittenberger "Judensau" prangt wohl seit 1570 zusätzlich der Schriftzug "Rabini Schem HaMphoras". Schem HaMphoras steht für den im Judentum unaussprechlichen heiligen Namen Gottes.
Die Ergänzung wird mit einer Schrift von Reformator Martin Luther (1483-1546) in Verbindung gebracht, der in Wittenberg wirkte und vor allem in seinem Spätwerk gegen Juden hetzte. Der Schriftzug ist vermutlich von Luthers antijüdischer Schrift "Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi" von 1543 inspiriert.
Wie wird das Relief in Wittenberg eingeordnet?
Die Stadtkirchengemeinde ließ 1988 eine Bodenplatte unterhalb des Reliefs anbringen. Ihre Inschrift nimmt Bezug auf den Völkermord an den Juden im Dritten Reich, die Plastik selbst findet jedoch keine Erwähnung.
Auf der Gedenktafel steht: "Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem HaMphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in sechs Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen."
Durch Gedenkveranstaltungen und Führungen hat sich laut der Gemeinde eine rege Erinnerungskultur entwickelt.
Kirchen arbeiten dunkles Kapitel ihrer Geschichte auf
Die antijüdischen Darstellungen, die es beispielsweise auch im Brandenburger und Regensburger Dom sowie an der Sankt-Stephani-Kirche in Calbe (Saale) gibt, gelten für die Kirchen heute als dunkles Erbe. Im Kölner Dom ist sie beispielsweise als Holzschnitzerei am mittelalterlichen Chorgestühl zu finden, neben einem weiteren antijüdischen Motiv. Dort wird sich heute, wie auch andernorts, um Aufklärung und Einordnung bemüht. 2021 gab es die Sommerausstellung "Der Kölner Dom und 'die Juden'" im Kölner Dom.
KNA, MDR (André Plaul)
Dieses Thema im Programm: DEUTSCHLANDFUNK | Tag für Tag | 04. Januar 2022 | 09:37 Uhr
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