Nah dran | 19.03.2020 Allein auf Station - Wie weiter mit der Krankenpflege?
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Der Film "Allein auf Station - Wie weiter mit der Krankenpflege?" beschreibt den Alltag von Pflegekräften, benennt Ursachen des Pflegenotstands und stellt Krankenhäuser vor, die nach Modellen und Wegen für eine bessere Pflege suchen.

Allein mit mehr als 30 Patienten auf Station? Das ist in deutschen Krankenhäusern immer häufiger keine Ausnahme mehr. Mitarbeiter werden ständig aus dem freien Wochenende geholt oder zu Überstunden genötigt, weil sonst der Dienstplan zusammenbricht. Nach Angaben der Gewerkschaft ver.di fehlen 80.000 Pflegekräfte im Krankenhaus.
Am Limit
Krankenpfleger Fritz Nolting ist im katholischen St. Franziskus Hospital in Münster tätig. Den Fünfzigjährigen bringen besonders die Nachtschichten ans Limit. "Ich erlebe, dass Freunde, Kollegen in der Umkleidekabine heulen, weil sie eine harte Nacht hatten. Die sind wirklich verzweifelt und meinen, es kriegt ja eh keiner mit." Dabei arbeitet er in einem Haus, das sich die "Pflege der Pflegenden" zum Programm machte, Entspannungsangebote und Möglichkeiten zum Austausch schuf.
Katrin Schröder muss sich auf ihr privates Netzwerk verlassen. Die 53-jährige Fachschwester arbeitet im kommunalen Klinikum Augsburg. Sie liebt ihren Beruf, doch auch sie stellt fest, dass immer mehr Patienten in kürzerer Zeit zu versorgen sind. Viele davon sind älter und kommen mit Mehrfacherkrankungen in die Klinik, was Aufwand und damit den Druck erhöht. "Ohne ein privates Netzwerk aus Familie, Freunden und Nachbarn hält man den stressigen Wechselschichten, Wochenenddiensten und Überstunden nicht lange stand." Um die Belastung zu verringern oder den Job überhaupt weiter ausüben zu können, gehen viele in Teilzeit, was einerseits ihren Verdienst schmälert, andererseits den Personalmangel in der Pflege vergrößert.
Was Zeitmangel und Überforderung anrichten
Karl H. Beine, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten-Herdecke, kommt in seiner Studie, für die er 5.000 Pflegekräfte und Ärzte anonym befragte, zu diesem Urteil: Chronische Überlastung und mangelnde Unterstützung der Pflegenden begünstigten nicht "nur" Resignation und Burnout beim Personal, sondern begünstigten auch ein Klima des "Wegsehens", in dem tätliche Übergriffe auf die Patienten bis hin zum Serienmord passieren könnten. Seit Jahrzehnten forscht der Arzt und Psychotherapeut zum Tabuthema "Gewalt im Krankenhaus" und untersuchte dazu auch den Fall Niels Högel, der wegen sechsfachen Patientenmords zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Inzwischen geht die Staatsanwaltschaft von 90 Fällen aus. In der Klinik in Delmenhorst, in der Högel zwei Jahre arbeitete, fiel es Beine zufolge merkwürdigerweise nicht auf, dass der Verbrauch eines bestimmten Medikamentes aber auch die Sterberate über zwei Jahre rasant gestiegen seien.
Was der Pflege fehlt: "Erlösrelevanz"
Als Ursache der Pflegemisere sieht Beine die Privatisierungswelle im Krankenhauswesen, die Wettbewerb und Kostendruck ständig anheize. Mehr als 30 Prozent der Krankenhäuser sind mittlerweile in privater Hand. Der Pflegewissenschaftler Michael Simon wird konkreter und sieht in der Einführung der sogenannten Fallpauschalen den Treiber für diese Entwicklung. Bis 2004 seien alle Leistungen, die Patienten verursachten, nach Liegetagen berechnet worden, seitdem würden ausdrücklich ärztliche Leistungen vergütet: "Pflege hat insofern keine, wie es heißt, Erlösrelevanz."
Was heißt Abstriche machen? Das Bett schmutzig lassen. Einen Grießbrei statt das volle Essen. Die Windeln nur alle sechs Stunden wechseln statt alle vier bis fünf.
Ergo: Sie ist ein bloßer Kostenfaktor, der zu reduzieren ist. Stellen von Krankenschwestern und Pflegern wurden denn auch massiv abgebaut, jetzt fehlen sie. Zumal die Einführung der Fallpauschalen dafür sorgte, dass medizinische Leistungen das Überleben der Krankenhäuser sicherten. So stieg wiederum die Zahl der ärztlichen Eingriffe und Patientenzahlen rapide, was die Arbeitsbelastung für das verbliebene Personal weiter verdichtete. Während in Deutschland eine Fachkraft 13 Patienten betreuen soll, sind es in Norwegen oder den Niederlanden maximal fünf.
Viele sterben einfach allein und unbemerkt, weil man die Zeit nicht hat. Es ist völlig illusorisch zu glauben, man könne sich zu einem Sterbenden ans Bett setzen.
Die Pflegenden pflegen?
Seit Jahren fordern Pflegekräfte eine gesetzliche Personaluntergrenze auf den Stationen. Mitarbeiter der Berliner Charité waren die ersten die dafür streikten. Streiks waren bisher ungewöhnlich für eine Branche, die wenig gewerkschaftlich organisiert ist und in der sich viele für ihre Patienten verantwortlich fühlen. Doch mittlerweile häufen sich die Proteste und eine Reform der Pflegeversicherung soll Abhilfe schaffen. So verspricht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Pflege, die im Abrechnungssystem der Fallpauschalen zu kurz kommt, mit einem eigenen Etat auszustatten.
Und auch in den Krankenhäusern sucht man nach Lösungen: Im katholischen St. Franziskus Hospital in Münster setzt man auf die "Pflege der Pflegenden". Im Evangelischen Krankenhaus Mettmann sucht man durch die Digitalisierung aller Arbeitsbereiche, Entlastung zu schaffen. Am Universitätsklinikum Halle (Saale) wird bereits erprobt, welche Teile der Krankenversorgung Roboter übernehmen können.
So lange noch Menschen den Großteil der Arbeit tun, sollten sie dafür auch respektiert werden, findet Jana Langer. Denn viele rackerten gerade, weil der Pflegeberuf in der Gesellschaft als etwas minderwertig angesehen werde, bis zur Selbstaufgabe. Pflegewissenschaftler Michael Simon sagt, wenn es gelänge, einen erheblichen Teil derjenigen, die mittlerweile in Teilzeit arbeiteten, wieder voll zu beschäftigen, würde das schon ein "spürbares Plus an zusätzlichem Personal, verfügbarer Arbeitszeit bringen". Aber dagegen stünden die Arbeitsbedingungen. Und das schon oft schon in der Ausbildung:
Die Auszubildenden werden als Helfer missbraucht. Eine regelmäßige, konkrete Anleitung findet nicht statt. Nicht wenige brechen die Ausbildung ab, weil sie so nicht arbeiten wollen.
Simon befürchtet, dass die versprochene Festlegung auf eine Personaluntergrenze, die gerade zwischen Kassen und Krankenhausverbänden verhandelt wird, auf einem Niveau getroffen wird, das "vollkommen unzureichend" ist. Dabei wären bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen angesichts des Personalmangels die erste Stellschraube, um den Notstand zu lindern.