Nach 170 Jahren Oper "Santa Chiara" in Meiningen: Spaßige Inszenierung mit fabelhaftem Ensemble
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Am Staatstheater Meiningen wird die Oper "Santa Chiara" zu neuem Leben erweckt. Komponiert hat sie kein Geringerer als das ehemalige Landesoberhaupt, Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha. 1854 wurde sie am Herzoglichen Hoftheater in Gotha uraufgeführt. Die Geschichte ist recht eigenwillig, doch das fabelhafte Team in Meinigen meistert diese Herausforderung und beschert eine vergnügliche Inszenierung.

Dass die Thüringer Theaterlandschaft geradezu sprichwörtlich ist, gehört zum besseren Erbteil der deutschen Kleinstaaterei. Dabei gab es Fürsten, deren persönlicher Beitrag deutlich über dem üblichen Standard lag. Georg II. von Meiningen hat sich den Ehrentitel eines Theaterherzogs redlich verdient.
Sein Nachbar in Sachsen-Coburg und Gotha, Ernst II. (1818-1893), hat sogar selbst komponiert. Der ältere Bruder von Prinz Albert, dem Ehemann von Queen Victoria, "musste" die Herrschaft übernehmen, brachte es aber dennoch u.a. auf fünf Opern! Mit seiner unter Franz Liszt 1854 in Gotha uraufgeführten Oper "Santa Chiara" hatte Herzog Ernst II. sogar einen europaweiten Erfolg – inklusive Paris.
"Santa Chiara" besticht durch eine schräge Story
Die Geschichte von "Santa Chiara" ist allerdings selbst für Opernverhältnisse ziemlich sonderbar. Da wird die junge deutsche Prinzessin Charlotte Christine aus politischem Kalkül an den Zarenhof nach Russland verschachert. Sie muss den Sohn von Peter dem Großen heiraten, dem nicht nur jede Größe fehlt, sondern auch der Verstand abhanden kommt. Charlotte Christine wird nach allen Regeln missratener Zarensöhne mit der öffentlich hofierten Mätresse gedemütigt, ja sogar vergiftet!
Ihr gelingt die Flucht aus Sarg und Gruft ins Exil – in der Meininger Inszenierung von Hendrik Müller sogar unter Mitwirkung von Jesus persönlich. So kann sie sich selbst als Zentrum einer Sekte in Szene setzten (hier in einer Zirkusmanege), als Heilige verehren lassen, wie am Fließband wunderheilen und dafür kassieren. Wenn sie aus dem Schnürboden in die mit lauter (weiblichen und männlichen) Bräuten des Herrn gefüllte Arena einschwebt und alle "Welch ein Anblick singen", dann sind die Lacher wohl einkalkuliert. Und befreiend.
Ihr Langzeit-Verehrer Victor landet in ihrem Verein. Zum Schluss auch noch der mittlerweile gänzlich dem Wahnsinn verfallene Czarowitsch (so wird der Zarewitsch in den Übertiteln genannt). Der bleibt – verdient – am Ende auf der Strecke.
Ironie gegen unfreiwillige Komik
Was diese Vorlage heute zu einer echten Herausforderung macht, ist vor allem das blumige Libretto von Charlotte Birch-Pfeiffer. Das ist für sich genommen unfreiwillig komisch. Aber ist das beim allseits geliebten "Freischütz" wirklich so viel anders?
So weit das möglich ist, bewältigen Müller und sein Team diese Klippe mit gut dosierter Ironie, die alles ein Handbreit über dem Boden schweben lässt. Und es bleiben ja immer noch die selbstbewusst, ehrgeizige Frau mit einer abenteuerlichen Karriere, ein übergeschnappter Zarensohn, ein Tenor als schmachtender Liebhaber und große Chornummern. Also Opernzutaten für eine Melange, bei der man sich nicht langweilt – selbst wenn man sich nur über die Absurditäten amüsiert, die man bei anderen Werken gewohnheitsmäßig übersieht.
Inszenierung mit fabelhaftem Ensemble
Musikalisch wirkt das heute Unbekannte dennoch vertraut. Oft lauert der "Freischütz" hinterm Baum des deutschen Waldes (vom Harz samt Bären ist mal die Rede). Dann schmettert Belcanto über die Rampe, auch mal ein früher Wagner. Hier hatte keiner den Ehrgeiz, Avantgarde zu sein, sondern man wollte unterhalten. Ein gewisser Grand-Opera-Ehrgeiz, der blitzt freilich immer mal in den Chorpassagen oder den Finali auf.
Die Hofkapelle macht ihrem Namen unter GMD Philippe Bach alle Ehre. Die wunderbare Lena Kutzner als Charlotte Christine und Patrick Vogel als ihr Verehrer Victor, aber auch Johannes Mooser als Zarewitsch und Marianne Schachtel als Charlottes Vertraute Bertha führen ein fabelhaftes Ensemble an.
Die Inszenierung macht die Story erträglich und das durchweg tolle Protagonistenensemble sorgt für musikalisches Vergnügen! Wer Lust auf etwas neues Altes hat, wird hier gut bedient.
Die Aufführung
"Santa Chiara"
Romantische Oper in drei Aufzügen von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha
Regie: Hendrik Müller
Bühne: Marc Weeger
Kostüme: Katharina Heistinger
Besetzung:
Charlotte: Lena Kutzner/Deniz Yetim
Bertha: Marianne Schechtel
Victor: Markus Petsch/Patrick Vogel
Alexis: Johannes Mooser
Aurelius: Rafael Helbig-Kostka
Alphonse: Tomasz Wija
Herbert: Mikko Järviluoto
Chor des Staatstheater Meiningen
Meininger Hofkapelle
Musikalische Leitung: GMD Philippe Bach
Aufführungen:
Sonntag, 20.02.2022 | 18:00 | Großes Haus
Sonntag, 13.03.2022 | 15:00 | Großes Haus
Sonntag, 20.03.2022 | 18:00 | Großes Haus
Freitag, 01.04.2022 | 19:30 | Großes Haus
Samstag, 30.04.2022 | 19:30 | Großes Haus
Samstag, 11.06.2022 | 19:30 | Großes Haus
Mittwoch, 22.06.2022 | 19:30 | Großes Haus
Einführung jeweils 30 Min. vor Vorstellungsbeginn
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 19. Februar 2022 | 09:10 Uhr