"Figaro lässt sich scheiden" Oper Magdeburg: In der Fortsetzung von "Figaro" wird der Held zum Mörder
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Eine Scheidung kommt in den besten Familien vor. Warum nicht auch bei "Figaro", der durch Rossinis "Der Barbier von Sevilla" und Mozarts "Die Hochzeit des Figaro" berühmt gewordenen Opernfigur? In Magdeburg gibt es jetzt mit "Figaro lässt sich scheiden" eine tragische Fortsetzung der bekannten Geschichte zu sehen. Das international erfolgreiche Stück ist eine Koproduktion der Oper Magdeburg mit der Walisischen Nationaloper und zeigt, wie lebendig Oper weiterleben kann, findet unser Kritiker.

Im Finale von Mozarts "Die Hochzeit des Figaro" wird eindrucksvoll um Verzeihung gebeten und diese großmütig gewährt. Aber sind mit der Hochzeit alle Irrungen und Verwirrungen schon abgetan? Was geschieht später mit Figaro, dem kleinbürgerlichen Barbier und späteren Kammerdiener, der gerne ein wenig intrigiert, und was mit dem Grafen Almaviva, seinem Herrn? Einige Komponisten haben den Stoff schon weiterentwickelt, etwa Saverio Mercadante oder Darius Milhaud, zuletzt die britisch-russische Komponistin Elena Langer.
Eine beliebte Fortsetzungsgeschichte
Pierre de Beaumarchais, auf den der Stoff zurückgeht, hatte selbst nach dem "Barbier von Sevilla" und der "Hochzeit des Figaro" einen dritten Teil, "Ein zweiter Tartuffe oder die Schuld der Mutter", verfasst. Auf ihn hatte nun auch Sir David Poutney zurückgegriffen, der Elena Langers Oper nicht nur als Direktor der Welsh National Opera in Auftrag gegeben und inszeniert, sondern auch das Libretto verfasst hatte.
Der Titel bezieht sich dabei auf Ödon von Horvaths Komödie "Figaro lässt sich scheiden" aus dem Jahre 1936. Im Gegensatz zu seiner Frau Susanna hält Horvaths Figaro es für verantwortungslos, angesichts bevorstehender Katastrophen noch Kinder zu zeugen. Er wird wieder Friseur.
Ein Stück über Emigration
In welcher Zeit Langers Oper spielt, bleibt offen: nach der französischen oder nach der russischen Revolution? Während des Nationalsozialismus oder in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise?
Horvaths Drama ist ein Stück über Emigration: Graf und Gräfin sind enteignet, Figaro und Susanna mit ihnen auf der Flucht. Der vor zwei Jahren verstorbene Bildhauer, Ralph Koltai, der als Jugendlicher selbst in einem Kindertransport von Berlin nach London emigrieren musste, hat eine abstrakte Bühne mit beweglichen Wänden – darauf eingerissener Pappe oder Schriftzüge – für 21 Szenen entworfen: Gefährliche Grenzanlagen, ein Friseursalon, ein Emigrantennachtclub oder eine staatliche psychiatrische Anstalt, zu der das Schloss des Grafen geworden ist.
Magdeburger Inszenierung steckt voller Überraschungen
Mit viel dramatischem Verve treibt Elena Langers Komposition die Handlung voran. Mozart und Rossini werden dabei zwar nur selten direkt zitiert, dennoch kommt die Musik den Figuren Mozarts und Rossinis sehr nahe – aber auch dem Selbstmitleid und der Selbstgerechtigkeit des Personals in Horvaths Komödie. Plötzlich frecher Tango, dann Anspielungen an Klezmer-Musik überraschen immer wieder.
Schutzgeld und Nachtclubs
Die große, geschwätzige Arie singt im Friseursalon nicht der eher schweigsame Figaro, sondern sein Kunde, während er sich einseifen lässt: der "Major" (bei Beaumarchais "der zweite Tartuffe"), ein böser politischer Intrigant, der alle seine Beziehungen spielen lässt und Schutzgelder kassiert. Dennoch ist auch er voller Selbstgerechtigkeit. Der Tenor Mark Le Brocq macht ihn zum komödiantischen Zentrum der Oper.
Auch Mozarts frecher Cherubino (Countertenor Andrew Watts) taucht wieder auf: nun als situierter Nachtklubbesitzer, der die arbeitslose Susanna (Marie Arnet) als Sängerin engagiert.
Figaro wird zum Mörder
Langers Oper gibt allen Figuren Empathie, gerade auch Figaro, obwohl er zum Mörder wird. Gesungen wird die Rolle von dem warmen, kräftigen Bariton von David Stout. Dem Paar Graf (Qurijn de Lang) und Gräfin (berührend: Noa Danon aus dem Magdeburger Ensemble) stehen deren unehelichen Kinder Serafin und Angelika gegenüber, denen in ihren oft verzweifelten Situationen Liebesarien gewidmet sind (sehr klar: Emilie Renard und Rhian Lois).
International erfolgreiche Produktion
Die vor fünf Jahren in Cardiff uraufgeführte Koproduktion war bereits in Genf und Poznań sehr erfolgreich. "Figaro lässt sich scheiden", kann zeigen, wie lebendig Oper weiterleben kann. Dass die Produktion nun trotz Pandemie auch in Magdeburg gezeigt werden konnte, macht die Aufführung zusätzlich zum Ereignis.
Infos zur Aufführung
"Figaro lässt sich scheiden" / "Figaro Gets a Divorce"
Oper in zwei Akten
Libretto von David Pountney nach Beaumarchais’ "La mère
coupable" und Ödön von Horváths "Figaro lässt sich scheiden"
Reduzierte Orchester-Fassung von Daniel Rueda Blanco
In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Koproduktion mit der Welsh National Opera
Orchester: Magdeburgische Philharmonie
Musikalische Leitung: Svetoslav Borisov
Regie: Sir David Pountney
Bühne: Ralph Koltai
Mitarbeit Bühne: Robin Don
Kostüme: Sue Blane
Lichtdesign: Linus Fellbom
Dramaturgie: Thomas Schmidt-Ehrenberg
Besetzung:
Figaro: David Stout
Susanna: Marie Arnet
Graf: Quirijn de Lang
Gräfin: Noa Danon
Serafin: Emilie Renard
Angelika: Rhian Lois
Der Cherub: Andrew Watts
Der Major: Mark Le Brocq
Aufführungen:
Samstag, 22.01.2022, 19.30 Uhr, Opernhaus Bühne
Samstag, 29.01.2022, 19.30 Uhr, Opernhaus Bühne
Sonntag, 06.02.2022, 16.00 Uhr, Opernhaus Bühne
Samstag, 12.02.2022, 19.30 Uhr, Opernhaus Bühne
Samstag, 19.02.2022, 19.30 Uhr, Opernhaus Bühne
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 22. Januar 2022 | 20:00 Uhr