Der Redakteur Rauf und runter – wie lassen sich die Preise am ersten Tag der Spritpreissenkung erklären?
Hauptinhalt
Am ersten Tag des Tankrabattes gab es vielerorts ein reges Auf und Ab bei den Spritpreisen. Ob der Tankrabatt etwas bringt und wie die Benzinpreise entstehen - das haben wir Energieexperten gefragt.

Es war geradezu eine Achterbahnfahrt, die wir in den vergangenen Tagen an den Tankstellen erlebt haben. Umso größer war vielerorts die Überraschung am Morgen des 1. Juni, wo tatsächlich der Spritpreis um den weggefallenen Steuersatz nach unten gegangen ist.
Allerdings mitunter erst nach einem Preissprung in den Morgenstunden, denn das ist die Zeit, in der traditionell auf die Not der Nachlässigen gesetzt wird, die dringend zur Arbeit müssen, aber einen leeren Tank haben.
Laut ADAC ist die gesenkte Energiesteuer bereits an den Tankstellen wahrnehmbar und liegt bei E10 zum Beispiel teilweise 30 Cent unter den Vortageswerten. Dennoch seien die Preise noch rund 20 Cent pro Liter zu hoch. Trotzdem war diese sofortige Preissenkung nicht von allen Experten erwartet worden, weil die Steuer nicht an der Tankstelle anfällt, sondern schon früher, nämlich beim Verlassen der Tanklager.
Deshalb kam trotz des Wegfalls des Steueranteils eigentlich noch das teuer versteuerte Benzin aus den Zapfpistolen. Aber ganz offensichtlich ist genügend Luft beim Preis, sodass Marktführer Aral am 1. Juni um 0:44 Uhr mitgeteilt hat: Wir senken E10 von 2,21 auf 1,86 Euro und Diesel von 2,05 auf 1,88 Euro.
Wenn der Marktführer das macht, dann muss der Rest des Marktes nachziehen
Nun streiten Tankstellen oft ab, für die hohen Spritpreise mitverantwortlich zu sein. Ihr Anteil am Preis betrage einen Cent pro Liter, sagte Helmut Rabl als Sprecher des Tankstellen-Interessenverbandes. Der Anteil ist also verschwindend gering und er ändert sich auch nicht, wenn die Spritpreise durch die Decke gehen.
Schlimmer noch: Die Tankstellenpächter im Markenmäntelchen von Aral, Esso, Shell und Co. staunen genauso hilflos wie ihre Kunden, welche Kapriolen die Zahlen da oben an der Anzeige so schlagen.
Diese sind längst zur Spielkonsole der Ölmultis verkommen, die auch schon mal punktuell austesten, was auf der Kundenseite passiert, wenn sie an einer einzelnen Tankstelle mal ein bisschen am Preis drehen. Auf diese Art wurde auch irgendwann die Zwei-Euro-Marke geknackt, die lange als Angstmarke in der Branche galt.
Nun haben die Ölkonzerne festgestellt, der Verbraucher ist sogar bereit, 2,25 Euro zu bezahlen.
Das Ergebnis dieser Erkenntnis spüren wir gerade. Schuld an der Entwicklung, so Rabl, haben auch die Politiker, die mit ihren Reden genau diese Entwicklung "vorhergesagt" oder nach seiner Ansicht gar herbeigeredet haben.
Transparenzstelle als kostenloses Marketinginstrument der Ölmultis
Denn wenn der Boden bereitet ist, kann man viel einfacher höher bauen. Und noch etwas habe der Staat unfreiwillig getan: Durch die Schaffung der Transparenzstelle, an der letztlich alle Webportale hängen, auf denen wir uns die "günstigste" Tankstelle aussuchen, wurde den Ölmultis ein kostenloses Marketinginstrument zur Verfügung gestellt, um die Konkurrenz zu beobachten - und genau das passiert täglich.
Preisabsprachen sind nicht mehr nötig
Die Vorstellung, dass die Mineralölkonzernen in Hinterzimmern ihre Preise absprechen, also etwas tun, was die Kartellbehörden sanktionieren könnten, ist dank der Transparenzstelle nicht nötig.
Das Kartellamt bezeichnet Rabl als zahnlosen Tiger, der offenbar auch nicht schreiben kann, denn weder Rabl hat auf seine Briefe eine Antwort erhalten, noch wir auf eine Anfrage vor einer Woche.
Die Transparenzstelle mag zwar anders gewollt gewesen sein, aber diese Einrichtung gehe für den Verbraucher nach hinten los. Für die Konzerne, die noch einen Kapitalismus im Stile des 19. Jahrhunderts betreiben, so Rabl, ist das ein Geschenk. Zusammen mit den Despoten dieser Welt sorgt also eine toxische Mischung für unsere Energiesicherheit.
13 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne haben die Ölmultis im ersten Quartal bei uns eingefahren, das hat Rabls Verband ausgerechnet. Putin ist also bei weitem nicht der Einzige, der von den hohen Preisen derzeit profitiert.
Was ist mit den Märkten?
Natürlich sind die Rohölpreise das Ergebnis von weltweiten Entwicklungen. Da spielt der Lockdown in China genauso rein wie der Krieg in der Ukraine. Am Ende entsteht ein Angebot/Nachfrage-Spiel, das letztlich zu Preisen führt, die irgendjemand auch zahlt.
Das ist an der Tankstelle nicht anders, irgendwann muss ich tanken, egal, wo der Preis gerade liegt. So lange die Nachfrage hoch ist, weil alle Abnehmer quasi noch mit Vollgas fahren, wird sich daran auch nichts ändern. Zumal das beschlossene Ölembargo gegen Russland das Angebot zusätzlich verknappt. Was die Preise machen werden, ist absehbar.
Energieexperte schlägt Strafzölle statt Embargo vor
Als Alternative zu einem Embargo schlägt Energiemarkt-Experte Andreas Goldthau von der Uni Erfurt Strafzölle auf russisches Öl vor. Das macht es zwar nicht unbedingt billiger für uns. Aber Putin Gewinne würden schrumpfen und mit den Einnahmen entstünden neue Steuerungsmöglichkeiten.
Über diese Strafzölle könnte man zumindest ein Teil davon abschöpfen, was die Russen normalerweise in ihre eigene Tasche stecken würden.
Wie kommen wir aus der Preisspirale raus?
So lange wir von Despoten und turbokapitalistischen Ölmultis abhängig sind, wird das schwer. Aus dieser Umklammerung müssen wir uns schnellstens lösen. Das jedenfalls ist der Ansatz von Herbert Rabl vom Tankstellen-Interessenverband.
Da wir es nicht schaffen werden, unabhängig von den internationalen Energiemultis selbst Öl und Gas zu fördern, bleibt uns eigentlich nur die Flucht nach vorn. Alles das, was nebenbei auch dem Klima nützt und von dem vieles noch in den Kinderschuhen steckt, muss uns kurz- und mittelfristig unabhängiger machen. Da sind E-Fuels, Wasserstoff (in Verbindung mit Wind + Sonne) wichtige Ansätze.
Die nächste Preisgrenze liegt bei 2,50 Euro
Rabl vermisst allerdings einen wirklichen Ruck in der Gesellschaft und bei der Politik, das Thema groß anzugehen. Denn eines ist für ihn klar: Die nächste Marke, die ausgetestet wird von den Ölmultis, sind die 2,50 Euro. Und das ist gar nicht so schwer. Wenn die Preise Ende August wieder deutlich über zwei Euro geklettert sind und die jetzt weggefallenen Energiesteuern im September wieder oben drauf kommen, sind wir genau dort angekommen.
Und selbst wenn der russische Krieg gegen die Ukraine bis dahin beendet sein sollte, wird Russland nach Einschätzung von Prof. Andreas Goldthau als Energielieferant für uns weiterhin ausfallen. Mit den bekannten Folgen für die Preise an den Zapfsäulen. Mindestens so lange wie Russland ist, wie es ist. Und das kann dauern.
Dass wir die Energiebeziehungen wieder aufnehmen, dafür müsste schon sehr viel mehr passieren und das sehe ich im Moment nicht.
MDR (nis)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 01. Juni 2022 | 16:40 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/b1d21a3e-fe7d-4a91-8cb3-42582f96ae06 was not found on this server.