Seltenes Handwerk Kunst unter Druck: Steindrucker Christian Müller gibt Handwerk in Wurzbach weiter
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Christian Müller ist einer der letzten, der noch von der Pike auf gelernt hat, Lithografien zu drucken. Auch wenn Steindrucker ein "aussterbendes" Handwerk ist, blickt Müller optimistisch in die Zukunft.

Es ist ein sonniger, aber schrecklich kalter Oktober-Sonntag im Frankenwald. Ich bin nach Wurzbach gefahren. Verabredet mit Christian Müller, Steindrucker. Ich habe ihn für die Handwerkerserie des MDR gefragt, ob er mir sein Handwerk Steindruck zeigt. Er ist einer von ganz wenigen, die noch mit teils zentnerschweren Steinen aus Bayern drucken. Und viele bekannte Künstler beauftragen ihn, ihre Kunstwerke auf Papier zu bringen. In der Schublade "Der letzte seiner Art" möchte Müller aber nicht landen. Es soll auch kein "trauriger" oder "tränenreicher Tag" werden, sagt er mir. Deshalb hat er genau diesen Tag für einen Besuch vorgeschlagen. Denn zwei Dozenten haben sich angekündigt - sie wollen an diesem Wochenende eine Einladung drucken für eine Ausstellung in Wurzbach zum 250. Geburtstag des Lithografie-Erfinders Alois Senefelder. Es gibt was zu sehen und zu zeigen - und nicht nur ihn, den alten Mann. Oha.
Museum für Steindruck in Wurzbach eingerichtet
Christian Müller schließt das Kunsthaus in Wurzbach auf. Neben einem lustig bunten Turm, gestaltet von Michael Fischer-Art, befindet sich die Galerie seiner Frau Bärbel Müller. Sie verkauft hier, was er hinter den Verkaufsräumen gedruckt hat. Es gibt etliche Räume mit Druckerpressen, in denen Christian Müller arbeitet. Wir gehen auf verschlungenen Wegen durch viele Türen.
Müller ist ganz in schwarz gekleidet, seine Hände sind auch schwarz von Farben, Lacken und Säure. Seine Haare und der Bart sind weiß. Er ist nicht gut zu Fuß und wir müssen etliche Treppenstufen nehmen bis wir dahin kommen, wo heute gedruckt wird - in einen vollgestellten Raum. Auf den Tischen stehen duzende Flaschen, Flüssigkeiten und Farben. Es ist kalt und es riecht nach Chemie. "Mein Opa war Apotheker. Ich mag, wenn es giftig riecht", scherzt Müller.
Was ist Lithografie?
Laut Duden eine grafische Technik, bei der auf eine präparierte Steinplatte mit fetthaltiger Kreide oder lithografischer Tusche die Zeichnung aufgebracht und im Flachdruckverfahren vervielfältigt wird. Das heißt, anders als z.B. beim Kartoffeldruck, bei dem nur die "hohen Stellen" gedruckt werden, gibt es bei der Lithografie keinen Höhenunterschied. Der Drucker "bringt dem Stein bei", welche Stellen Wasser annehmen und welche Wasser abstoßen. Die Künstler zeichnen z.B. mit Tusche auf den Stein, der Drucker bearbeitet den Stein mit Schwämmen, Wasser, Säuren und Öl und druckt so Schicht für Schicht. Motive können auf die Steine auch geritzt oder geätzt werden.
Steindrucker: Ein aussterbendes Handwerk
Er ist vielleicht nicht gut zu Fuß, aber sein Geist ist wach. Die Augen von Christian Müller lachen. Er macht viele Witze an diesem Sonntag - er erzählt Anekdoten und führt mich rum. Sein ehemaliger Lehrling Alexander Frohberg ist heute da. Er ist der letzte, der noch eine klassische Prüfung abgelegt hat und von der Prüfungskommission der Handwerkskammer einen Gesellenbrief bekam. Irgendwann - vor etwa zehn Jahren - gab es schlicht die drei nötigen Lithografen nicht mehr, die eine Prüfung abnehmen konnten. Und so wurde der eigenständige Ausbildungsberuf des Steindruckers aufgelöst. Inzwischen werden Medientechnologen ausgebildet, wobei Steindruck eine Spezialisierung und Weiterqualifizierung ist, erklärt mir die Handwerkskammer Ostthüringen. Doch mit dem Ende der Ausbildungstradition ist die Geschichte nicht zu Ende. Das Wissen wird nun von Steindrucker zu Hobby-Steindrucker weitergegeben. So auch in Wurzbach.
Wissen an die nächste Generation weitergeben
Alexander Frohberg - der ehemalige Lehrling Müllers - hat sein Wissen wiederum an Lukas Giesler weitergegeben. Beide kennen sich von der Kunstakademie in Karlsruhe. Giesler arbeitet dort noch, Frohberg ist inzwischen Dozent an der Universität Leipzig. Gestern haben sie auf einen Stein verschiedene Motive aus dem Druckerhandwerk skizziert. Heute sollen die gedruckt werden. "Meister", sagt Frohberg, "soll ich das übernehmen?"
Diese Anrede ist ungewohnt. Und doch nennen die beiden den Mann ganz selbstverständlich "Meister". Er bereitet nun den Druck "mit Nichts vor", sagt er leicht mystisch. Es ist ein ganz zartes, kaum sichtbares Grau. Die drei sprechen eine andere Sprache als ich. Lithografisch? Es ist spannend zu beobachten. Immer wieder macht Müller kleine Scherzchen. "Die Steindrucker waren früher immer ganz locker drauf und ich habe versucht, das zu übernehmen", sagt er mir.
Wie entsteht ein Steindruck?
Er macht verschiedene Abzüge. Die Maschine knarzt und ruckelt. Mal ist das Ergebnis es etwas zu dunkel, mal etwas zu hell, dann ist er mit der Walze unzufrieden, nimmt eine andere. Hier ist ein Perfektionist am Werk.
Ausstellung und Besuch im Kunsthaus
Ausstellung "Der junge Steindruck - Alois Senefelder zum 250. Geburtstag" ist vom 4. November 2021 bis 5. Februar 2022 in Wurzbach zu sehen. Am 6. November 2021 um 14 Uhr gibt es ein Museumsgespräch mit Hanns-Peter Schöbel und Lukas Giesler. Wer Galerie und Museum sonst besuchen möchte, soll sich bitte telefonisch anmelden: 03665235911.
Schaudrucken immer samstags 10 Uhr. Führung im Museum für Steindruck bitte auch nach Anmeldung. Coronaschutzmaßnahmen: Maske, Abstand, Händedesinfektion vor Ort.
Wie arbeiten Künstler und Drucker zusammen?
Steindrucker Müller freut sich, dass er heute Künstler da hat. "Wenn ich kümmerlich vor mich alleine herdrucke, macht es keinen Spaß", sagt er. Wie oft er alleine arbeitet, wie oft in Gesellschaft, will ich wissen. "Halbe-Halbe. Es gibt natürlich auch sehr bekannte Künstler. Müller-Stahl war vor ein paar Monaten hier und hat mich eingeladen. Grass war oft da", so Müller.
Ob die Zusammenarbeit immer Spaß macht oder ob auch schwierige Leute dabei sind, will ich wissen. Müller lacht und erklärt, der Drucker schweige - sagt dann immerhin, dass "Heisig oder Tübke schon ihre 'typische Art' hatten. Komplizierte Leute…" - aber mit Otto Waalkes habe es zum Beispiel viel Spaß gemacht. Otto ist studierter Kunstpädagoge. Dass es mit ihm lustig ist, kann man sich direkt vorstellen. Einige Drucke liegen noch in der Werkstatt. Es stapeln sich die Blätter. Müller zieht hier und da welche heraus und erzählt darüber. Mit Paketband hat er ein kleines Bild an die Wand geheftet. "Wenn einer stirbt, mache ich das dann."
Schätze über Schätze liegen hier ganz selbstverständlich. Zeit zum Sortieren muss "irgendwann" noch kommen. Es ist künstlerisches, kreatives Chaos. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Und alles braucht viel Platz. Die alten Druckmaschinen sind riesig. Auch deshalb zogen er und seine Frau vor einigen Jahren von Leipzig hierher nach Wurzbach - in das ehemalige Haus ihres Großvaters. Einst enteignet und nun zurückgekauft. Es ist eine Lebensaufgabe, das alles zu renovieren. Aber es gibt Platz! Und den braucht das Ehepaar. Sie, zum Hängen der Werke, er zum Drucken.
In den Regalen liegen steinerne Schätze
Die Bilder werden von den Künstlern auf riesige Steinplatten gemalt, geritzt, geätzt. Manche Platten werden nach dem Druck geschliffen und sind danach bereit für die nächste Arbeit, andere bleiben (fast unverändert) im Regal. "Wenn der Künstler sagt, es muss noch bleiben, dann bleibt es. Die Künstler oder Verleger bestimmen die Auflagenhöhe. Manchmal wird damit später nochmal gedruckt. Doch wenn nicht, werden die Steine 'durchgekratzt'." Und das, so erklärt mir Müller, gehöre zur Berufsehre und sei selbstverständlich - damit kein weiterer Druck stattfinden kann. Es ist schließlich keine Fälscherwerkstatt. Hier wird offiziell Kunst gemacht.
Aus "Kleinen" werden manchmal "große Künstler"
Und aus manchem Schüler, manchem Künstler, mancher Bekanntschaft wird ein großer Name. "Man weiß es nie - manche Künstler gehen ab", sagt Müller. Für Neo Rauch hat Müller zum Beispiel gedruckt, als er noch "ganz klein war". Er zeigt ein Foto von Rauchs Frau Rosa Loy. Auch sie hat bei ihm in Seminaren gelernt und gedruckt. Andere sind Kunst-Professoren geworden und Dozenten - wie die beiden Künstler, die heute die Einladungen drucken.
Müller, der im ersten Leben "wertvolle bibliophile Bücher" in Leipzig gedruckt hat, sieht sich noch heute als "Connewitzer", als Vertreter der "Leipziger Schule". Immer wieder kommen Künstler zu ihm, die bei ihm Seminare belegen, hier arbeiten. Er macht seine Witze mit ihnen und erklärt, was er weiß. Er spricht über unsichtbares Schwarz und feine Konturen, über grau, das nicht dunkler sein darf und Walzen, die Wellen werfen und er sagt: "Wir müssen die Leipziger Art erhalten und uns nicht weinend unterhalten. Sondern sehen, dass es funktioniert und weitergeht".
Der Meister Christian Müller machte in den 1950er-Jahren eine Ausbildung zum Steindrucker und Flachdrucker. Bis in die 1980er-Jahre stellte er in Leipzig kunstvolle Bücher her. Seit 1988 haben seine Frau Bärbel und Christian Müller eine Galerie für zeitgenössische Kunst und betreuen besonders Künstler, die sich der Grafik verschrieben haben und deren Werke mit Steindruck hergestellt werden. Im Jahre 2005 zogen die beiden von Leipzig nach Thüringen in das einstige Anwesen des Großvaters Max E. Müller am Markt in Wurzbach. Seit 2015 gibt es hier ein Museum für Steindruck. Vierteljährlich zeigen die beiden spezielle Steindruck-Ausstellungen.
Quelle: MDR THÜRINGEN